USA: Die Monroe-Doktrin wird 200 Jahre alt (2024)

Präsident James Monroe hat 1823 den Grundstein für die Aussenpolitik der USA gelegt. In die westliche Welt habe sich keine ausländische Macht einzumischen – ausser Amerika.

Ronald D. Gerste, Washington

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Wie in jedem Jahr warteten die Kongressabgeordneten und Senatoren am 2.Dezember 1823 auf die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation. Die Rede, die heute im grossen Rahmen live im amerikanischen Fernsehen übertragen wird, bezeichnete man da noch bescheiden als Annual Message, als jährliche Botschaft.

In jenem Jahr erwarteten die Politiker eine besondere Rede. Denn es gab Gerüchte, dass Präsident James Monroe die Rolle Amerikas im internationalen Geflecht neu definieren würde. Monroe war seit fünf Jahren im Amt und erlebte, wie sich Mittel- und Südamerika epochal veränderten. Das spanische Kolonialreich aus den Tagen von Kolumbus und Cortez brach zusammen – und zwischen Mexiko und Chile gründeten sich Republiken.

Die USA als demokratisches Vorbild für Südamerika

Für viele der jungen Republiken waren die Vereinigten Staaten von Amerika ein Vorbild. Denn als erste Nation jenseits des Atlantiks hatten sie sich gegen ihre Kolonialmacht erhoben, gegen die Briten. Die USA begrüssten daher auch die neue Unabhängigkeitsbewegung in der Neuen Welt – und fürchteten eine Intervention aus der Alten.

Denn in Europa herrschte seit der Abdankung Napoleons acht Jahre zuvor die Heilige Allianz. Ein Bündnis der Reaktionären, dessen wesentliche Säulen Russland, Österreich und Preussen waren – sowie Frankreich, das durch die Armeen der drei Grossmächte wieder zu einer Monarchie geformt wurde. Diese Fürstenallianz war entschlossen, allen revolutionären Bestrebungen entgegenzutreten.

Nach Einschätzung der amerikanischen Regierung galt dies auch für Lateinamerika. Und mit dieser Angst waren die USA nicht allein. Gerüchte sprachen von 12000 europäischen Soldaten, die nach Kolumbien geschifft werden sollten. Und der britische Aussenminister George Canning wandte sich an den amerikanischen Botschafter in London – mit der Anfrage, ob die beiden Länder nicht gemeinsam und vorsorglich ein mögliches Eingreifen der kontinentaleuropäischen Mächte in Lateinamerika verurteilen könnten.

Diese Initiative blieb zwar folgenlos. Doch der US-Präsident Monroe sah den Zeitpunkt gekommen, den kolonialen und restaurativen Bestrebungen der Europäer in der westlichen Hemisphäre entgegenzutreten. Darüber wollte er am 2.Dezember im jährlichen Bericht vor Kongress und Senat sprechen.

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Die Monroe-Doktrin beruht auf enormer Sachkenntnis

Kein anderer amerikanischer Präsident dürfte sich je wieder bei der Planung einer programmatischen Rede auf Berater vergleichbarer Kompetenz und Erfahrung gestützt haben: Monroe tauschte sich über mehrere Wochen mit seinen Vorgängern (und Nachbarn in Virginia) James Madison (Präsident von 1809 bis 1817) und Thomas Jefferson (Präsident von 1801 bis 1809) sowie seinem Aussenminister John Quincy Adams aus, der ihm knapp eineinhalb Jahre später im Amt nachfolgen sollte.

Monroe gestaltete seine Rede als Manifest. Die zentrale Passage zu den europäischen Verbündeten hat es in sich: «Wir sind es daher der Offenheit und den freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und diesen Mächten schuldig, zu erklären, dass wir jeden Versuch ihrerseits, ihr System auf irgendeinen Teil dieser Hemisphäre auszudehnen, als gefährlich für unseren Frieden und unsere Sicherheit betrachten sollten. In die bestehenden Kolonien oder Abhängigkeiten einer europäischen Macht haben wir uns nicht eingemischt und werden uns auch nicht einmischen.»

Jetzt wird er ganz deutlich: «Aber bei den Regierungen, die ihre Unabhängigkeit erklärt und aufrechterhalten haben und deren Unabhängigkeit wir mit grosser Rücksichtnahme und auf der Grundlage gerechter Grundsätze anerkannt haben, können wir ein Eingreifen durch eine europäische Macht mit dem Ziel, sie zu unterdrücken oder auf andere Weise ihr Schicksal zu kontrollieren, nur im Licht einer unfreundlichen Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten sehen.»

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Monroes Rede ist erfolgreich, das alte Europa schweigt

Von den jungen Staaten in Lateinamerika wurde die Erklärung begrüsst. Ebenso von der ehemaligen Kolonialmacht Grossbritannien. Auch innenpolitisch stiessen die Worte Monroes auf eine immense Zustimmung. Einer der Biografen des fünften Präsidenten bewertet die Rede im Kontext der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776: «Monroe kam dem wachsenden Gefühl eines nationalen Bewusstseins entgegen. Es schien, als habe die Nation endlich den Punkt erreicht, der 1776 so fern schien: eine amerikanische Identität war geschaffen.»

Ohne Frage, die Deklaration war kühn, da die USA keine Militärmacht waren und über keine vergleichbaren Streitkräfte wie das Zarenreich oder Frankreich verfügten. Doch Monroe hatte Erfolg. Die Mitglieder der Heiligen Allianz reagierten überwiegend diplomatisch-höflich – auch wenn Österreichs Staatskanzler Metternich verärgert war.

Mit seiner Rede schrieb sich Präsident Monroe in das Gedächtnis der Geschichte ein. Die lateinamerikanischen Staaten erinnerten sich nur allzu gut an die Rede Monroes, als die USA in den folgenden Jahrzehnten ihre Macht auf dem Kontinent ausdehnten. Und mit militärischen Interventionen und Besetzungen teilweise selbst wie eine Kolonialmacht auftraten. Etwa, als die Vereinigten Staaten 1847 Teile von Mexiko an sich rissen oder 1898 nach dem Krieg gegen Spanien dessen karibische Kolonie Puerto Rico übernahmen.

Wiederholt spielte die Monroe-Doktrin in Krisen eine Rolle oder wurde für deren Begründung benutzt. 1960 erklärte der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow, die Doktrin sei «eines natürlichen Todes gestorben». Zwei Jahre später berief sich Präsident John F.Kennedy auf sie, als er eine Blockade Kubas wegen der dort stationierten sowjetischen Mittelstreckenraketen ausrief.

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Eine Monroe-Doktrin für das 21.Jahrhundert

Auch heute beziehen sich Politiker auf die Doktrin. Der damalige US-Aussenminister John Kerry lehnte sie im Jahr 2013 mit fast identischen Worten wie Chruschtschow ab. Jetzt fordert der republikanische Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis eine «Version der Monroe-Doktrin für das 21.Jahrhundert».

Sowohl Republikaner als auch Demokraten nehmen China als eine Bedrohung der amerikanischen Hegemonie in der westlichen Hemisphäre wahr. Auf Kuba hat der pazifische Rivale vier Abhörstationen in Betrieb genommen, um die USA auszuspionieren. Und die Amerikaner halten es für möglich, dass China bald dauerhaft Soldaten auf der Post-Castro-Insel stationieren könnte.

Hinzu kommen die wirtschaftlichen und diplomatischen Aktivitäten der Volksrepublik. Das Handelsvolumen mit Lateinamerika ist von 18 Milliarden Dollar im Jahr 2002 auf 450 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr gestiegen. Zudem hat der chinesische Präsident Xi Jinping Südamerika in den vergangenen Jahren doppelt so häufig besucht wie die amerikanischen Präsidenten.

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Der Präsident spricht von einem goldenen Zeitalter

Die Vereinigten Staaten blicken auf Herausforderungen. Mit ihrer tief polarisierten Gesellschaft stehen sie zudem vor einer schicksalhaften und zweifellos erbittert umkämpften Wahl. Die Erinnerung an James Monroe kann da nur tiefe Nostalgie auslösen. Nie wieder wurde ein Präsident von 80 Prozent der Wahlberechtigten und mit nur einer Gegenstimme im Wahlmännerkollegium gewählt, wie es Monroe bei seiner zweiten Amtszeit 1820 erlebte.

Seit Mitte des 19.Jahrhunderts trägt die Doktrin den Namen ihres Schöpfers. Nach Abfassung des Schriftstücks hatte der fünfte Präsident der USA in einem bei ihm recht seltenen Überschwang ausgerufen, dass man auf seine Jahre als Präsident «hiernach als ein goldenes Zeitalter dieser Republik» zurückblicken werde. Er sollte recht behalten. Noch heute nennt man die Epoche die «Era of Good Feelings». Eine Zeit der guten Gefühle? Das klingt nach etwas restlos Vergangenem.

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